- Scapigliatura
- Scapigliatura[skapiʎʎa'tuːra; zu italienisch scapigliare »die Haare zerzausen«, »ausschweifend leben«], Bezeichnung für eine uneinheitliche politisch-literarische Bewegung in Mailand und in Piemont zwischen 1860 und 1880, von Cletto Arrighi (Anagramm für Carlo Righetti, * 1830, ✝ 1906) in seinem Roman »La scapigliatura e il 6 febbraio« (1862) zur sprachlich-inhaltlichen Charakterisierung der »Klasse« der Zwanzig- bis Fünfunddreißigjährigen verwandt, die, exzentrisch und chaotisch, gegen alle Formen sozialer Ordnung lebten. Von 1862 an wurde der ursprünglich v. a. politisch-soziale Begriff ausgeweitet, so von etwa 1865 an zur Bezeichnung der künstlerischen Boheme zunächst in der Lombardei (u. a. Cesare Tronconi, * 1836, ✝ 1894), wenig später in Piemont (u. a. G. Faldella). Die Mailänder »scapigliati« wandten sich u. a. gegen epigonale Formen der Romantik, gegen bürgerlichen Konformismus oder die Sprachvorstellungen A. Manzonis. Mit ihren literarischen Leitbildern J. C. F. Hölderlin, Novalis, H. Heine, G. de Nerval, E. A. Poe, C. Baudelaire, aber auch E. T. A. Hoffmann, H. de Balzac und Stendhal, eröffneten sie der italienischen Literatur neue Horizonte, in denen auch die symbolistische Vorstellung von der Verschmelzung der Sinne und der Künste ihren Platz fand. So waren die Lyriker E. Praga und Giovanni Camerana (* 1845, ✝ 1905) auch Maler, A. Boito auch Komponist. Schließlich trug die Scapigliatura mit zur Ablösung des herkömmlichen historischen Romans durch den psychologischen Roman sowie zur Ausbildung des literarischen Realismus in Italien bei. Neben den bereits genannten Persönlichkeiten zählt man u. a. auch die Dichter Igino Ugo Tarchetti (* 1841, ✝ 1869) und C. Dossi sowie den Maler Tranquillo Cremona (* 1837, ✝ 1878) zur Scapigliatura, deren Lebensformen, Absichten und Ziele G. Rovani modellhaft verkörperte.La S., hg. v. R. Tessari (Turin 1975);A. Ferrini: Invito a conoscere la S. (Mailand 1988);Dal Romanticismo alla S., hg. v. A. Delaz u. a. (Neapel 1997).
Universal-Lexikon. 2012.